Zwischen Tradition und Aufbruch

Was passiert, wenn ein junges japanisches Unternehmen auf internationale Zusammenarbeit trifft – und dabei tief verwurzelte Traditionen mit moderner Dynamik verbindet? Ein Erfahrungsbericht über Tempo, Vertrauen und stille Stärke.

Zwischen Tradition und Aufbruch
Tokio, Herbst 2018

Was ich aus einer überraschenden Zusammenarbeit mit einem jungen japanischen Unternehmen gelernt habe

Ich habe in meiner Karriere mit vielen internationalen Unternehmen gearbeitet – darunter auch mit japanischen. Wer an „Business mit Japan“ denkt, hat meist ein klares Bild vor Augen: zurückhaltende Kommunikation, klare Hierarchien, perfekter Ablauf, tiefer Respekt vor Erfahrung und Position. Meine bisherigen Begegnungen mit japanischen Konzernen passten genau in dieses Raster – professionell, korrekt, aber oft etwas distanziert.

Umso spannender war für mich die Zusammenarbeit mit einem jungen japanischen Unternehmen, das so gar nicht in dieses Klischee passte. Was auf den ersten Blick nach einem westlich geprägten Startup aussah, entpuppte sich schnell als faszinierende Mischung aus Tempo, Ambition und tief verwurzelter kultureller Prägung.

Dieser Beitrag ist ein persönlicher Erfahrungsbericht – und zugleich eine Einladung, die japanische Businesskultur differenzierter zu betrachten. Denn wer nur auf die Äußerlichkeiten achtet, verpasst das Entscheidende.


Was Japan für mich bedeutet – jenseits des Geschäfts

Vielleicht war es kein Zufall, dass mich dieses Projekt so berührt hat. Meine Frau ist halbe Japanerin, ihre Mutter stammt aus Osaka – und wir haben bis heute enge familiäre Verbindungen dorthin. Ich kenne die stillen Höflichkeitsformen eines Familienbesuchs, das aufmerksame Geben und Nehmen, das harmonische Nebeneinander von Moderne und Tradition im Alltag.

Diese Verbindung war im Projekt nie explizit Thema – aber sie war präsent. Sie hat mein Verständnis geschärft für das, was unausgesprochen bleibt. Für den Respekt, der nicht demonstrativ, sondern selbstverständlich ist. Für das feine Gespür für Zwischentöne, das man nur entwickelt, wenn man die Kultur nicht nur beobachtet, sondern lebt.

Ich will nicht behaupten, Japan zu verstehen. Aber ich weiß, wie viel zwischen den Zeilen steht – und dass es manchmal gerade das ist, worauf es ankommt.


Der Kontext: Ein Projekt in sensibler Phase

Ich wurde gebeten, ein technologiegetriebenes Unternehmen bei einem strategisch heiklen Thema zu unterstützen. Das Setup war international: Kunden weltweit, Investoren aus mehreren Kontinenten, ambitionierte Wachstumsziele. Und doch: Die DNA des Unternehmens war klar japanisch – auch wenn sie auf den ersten Blick nicht so wirkte.

Das Gründerteam war jung, ambitioniert und extrem fokussiert. Entscheidungen wurden schnell getroffen, es wurde wenig lamentiert. Meetings waren kurz, strukturiert und zielorientiert. Man konnte fast vergessen, dass man sich in einem traditionell geprägten Kulturraum bewegte. Aber genau hier wurde es spannend: Denn unter der Oberfläche war alles da – nur eben subtiler.


Sprache: eine Überraschung mit Tiefe

Das Erste, was mich erstaunte: Viele der jungen Führungskräfte sprachen kaum Englisch. In einem internationalen Kontext hatte ich – ehrlich gesagt – anderes erwartet. Natürlich waren die Unterlagen zweisprachig, natürlich gab es Dolmetscher. Aber im direkten Gespräch war die Sprachbarriere deutlich spürbar.

Was mich zunächst irritierte, wurde rasch zu einem Schlüsselmoment. Denn wir mussten neue Wege der Verständigung finden: über Körpersprache, über Skizzen, über kurze, präzise Fragen. Und über echtes Zuhören.

Mit der Zeit wurde mir klar: Die Sprache war nicht das Problem. Im Gegenteil. Die gemeinsame Arbeit erforderte eine besondere Form der Aufmerksamkeit. Ich musste lernen, Pausen auszuhalten. Mimik zu deuten. Den Kontext mitzudenken. Und vor allem: Ich musste mir die Frage stellen, ob ich wirklich zuhöre – oder nur darauf warte, selbst zu sprechen.


Tempo mit Tiefgang: Schnell, aber nie hektisch

Eines der größten Missverständnisse über japanische Unternehmen ist, sie seien langsam oder entscheidungsschwach. Nichts davon habe ich erlebt. Im Gegenteil: Die Gründer waren schnell, klar, fokussiert. Aber sie hatten ein tiefes Bedürfnis nach Stimmigkeit. Nicht im Sinne von Konsens um jeden Preis – sondern im Sinne innerer Logik. Entscheidungen mussten sich „richtig anfühlen“. Für das Team. Für das Unternehmen. Für die Kultur.

Es wurde nicht taktiert, nicht gepokert, nicht dramatisiert. Entscheidungen wurden vorbereitet, diskutiert, getroffen – und dann nicht mehr hinterfragt. Diese Konsequenz beeindruckte mich. Vor allem deshalb, weil sie aus Ruhe kam – nicht aus Härte.

Was in anderen Kontexten als „Entscheidungsfreude“ gefeiert wird, ist oft bloß ein Reflex. Hier war es anders. Hier war Klarheit keine Show – sondern Ergebnis sorgfältiger Reflexion.


Vertrauen wächst zwischen den Zeilen

Was mich besonders geprägt hat, war das Entstehen von Vertrauen. In vielen westlichen Kontexten entsteht Vertrauen durch Verträge, durch KPIs, durch Deliverables. In dieser Zusammenarbeit entstand es anders: leise, langsam, durch Beobachtung.

Ich merkte schnell: Meine Gesprächspartner beobachteten genau. Nicht kritisch, aber aufmerksam. Wie gehe ich mit Kritik um? Wie reagiere ich auf Unklarheit? Halte ich meine Versprechen – auch die kleinen?

Es waren nicht die formellen Meetings, die zählten. Es waren die Momente dazwischen. Die Nachfragen nach einem Call. Das konsequente Nacharbeiten. Die kleinen Gesten, die zeigen: Ich nehme euch ernst. Ich bleibe dran.

Ich erinnere mich an einen Moment, in dem ich eine unpopuläre Empfehlung aussprach. Es war still im Raum. Keine Gegenrede, kein Abnicken. Nur Stille. Ich war unsicher, ob meine Botschaft angekommen war. Zwei Tage später rief mich einer der Gründer an. Er hatte lange darüber nachgedacht – und war zu dem Schluss gekommen: Ich hatte recht. Das war keine Zustimmung aus Höflichkeit, sondern aus Überzeugung. Und genau das war der Moment, in dem das Vertrauen wirklich entstand.


Wenig Show, viel Substanz

Was mir besonders in Erinnerung geblieben ist: die völlige Abwesenheit von Ego-Spielchen. Niemand hat sich in Szene gesetzt. Niemand hat um Aufmerksamkeit gekämpft. Es ging nicht darum, wer etwas sagte – sondern was gesagt wurde.

In einem westlichen Kontext hätte das fast unterkühlt gewirkt. Aber es war alles andere als kalt. Es war fokussiert. Sachlich. Und sehr respektvoll. Die Energie floss nicht in Selbstinszenierung, sondern in Inhalte.

Mich hat das tief beeindruckt. Weil es mir gezeigt hat, wie viel Kraft darin liegt, auf die Wirkung der Sache zu vertrauen – nicht auf die Wirkung der Person.


Drei Lektionen, die geblieben sind

Aus dieser Zusammenarbeit nehme ich drei zentrale Erkenntnisse mit:

🔸 Nicht jedes „Ja“ ist ein Ja. In der japanischen Geschäftskultur ist das „Ja“ oft eine Form des Respekts – kein Ausdruck von Zustimmung. Es bedeutet: „Ich habe gehört, was du gesagt hast.“ Ob man es teilt, zeigt sich oft erst später – in der Umsetzung oder im Verhalten.

🔸 Stille ist nicht Unsicherheit. In vielen Kulturen wird Schweigen als Unsicherheit oder Ablehnung interpretiert. In Japan ist es oft ein Ausdruck von Nachdenken, von Respekt – oder schlicht von Raum für Reflexion. Ich habe gelernt, diese Stille nicht zu füllen, sondern zu achten.

🔸 Langsamkeit ist kein Zögern. Was von außen wie Verzögerung wirkt, ist oft der Ausdruck eines sorgfältigen Abwägens. Ein bewusstes Ringen um Stimmigkeit. Und genau das macht Entscheidungen so tragfähig.


Zwischen zwei Welten – und gerade deshalb stark

Was mich an diesem Unternehmen so fasziniert hat, war die Balance: zwischen Innovation und Tradition, zwischen internationalem Anspruch und kultureller Verwurzelung. Sie waren offen für neue Ideen, suchten das Gespräch mit Investoren weltweit, nutzten modernste Technologien – und doch: Sie waren japanisch. Im Denken. Im Handeln. Im Umgang miteinander.

Diese Verbindung aus Beweglichkeit und Tiefe war für mich eine große Inspiration. Sie hat mir gezeigt, wie viel Stärke entsteht, wenn man sich nicht entscheiden muss – sondern beides zulässt. Tempo und Tiefe. Fortschritt und Reflexion.


Mein Fazit

Die Zusammenarbeit mit diesem jungen japanischen Unternehmen war für mich eine sehr bereichernde Erfahrung. Nicht, weil alles glatt lief – sondern gerade weil es Reibung gab. Überraschung. Lernen.

Ich habe neue Formen der Kommunikation kennengelernt, mein eigenes Verhalten reflektiert und verstanden, wie tief Kultur in Entscheidungen hineinwirkt – selbst dort, wo man sie kaum vermutet.

Vor allem aber hat mich diese Erfahrung gelehrt, wie kraftvoll es sein kann, wenn man Unterschiede nicht nivelliert, sondern respektiert. Wenn man nicht erwartet, dass alle gleich ticken – sondern sich neugierig auf das Fremde einlässt.


Und Sie?

Welche internationalen Erfahrungen haben Sie geprägt?
Haben Sie ähnliche kulturelle Aha-Momente erlebt – sei es in Japan, in Europa oder anderswo?
Ich freue mich auf Ihre Gedanken und Impulse.

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen: www.vonbismarck-x.com